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Der Reiz, der an den Rändern liegt

Für seinen neuen Fotoband »Hinterland« begibt sich Hans-Christian Schink auf Spurensuche zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern

Text Laura Storfner
Fotografie Hans-Christian Schink
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Klein Luckow. Kleisthöhe. Schwarzensee. Im Balliner Holz. Orte, die weltentrückt klingen, ganz so, als beschreiben sie ein Land vor unserer Zeit.

Hans-Christian Schink, Hinterland, 29,5 × 31 cm, 148 Seiten

Dem Fotografen Hans-Christian Schink dürften sie in den letzten Jahren immer vertrauter geworden sein. Denn die ausgestorbenen Landstriche zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erkundete er für seine neue Fotoserie »Hinterland« intensiv und immer wieder aufs Neue. In gedämpften Farben fing er die Stimmung einer Region ein, in der das Land noch immer das Leben bestimmt. Er zog an die Ränder, dahin, wo die Stadt ausfranst und nähert sich einer Gegend, die heute viel zu selten klargesehen wird. In seinen zurückhaltenden Aufnahmen verklärt Schink die Provinz weder als Weite, in die man flieht, noch verteufelt er sie als Enge, der man entkommen will.

bei Helpt
Bei Helpt
dolgen Siedlung
Dolgen Siedlung

Schink tritt bewusst als Feldforscher auf, bleibt an Orten stehen, die der Betrachter unter normalen Umständen gar nicht erst anpeilen würde. Auf diese Weise rückt er in den Fokus, was sonst unbemerkt an einem vorbeizieht. Seine Bilder halten die meist winterlichen Landschaften an, sie frieren Szenen ein, die man verschwommen aus dem Auto oder Zugabteil wahrnimmt. Felder, über denen ein trüber Nebelschleier liegt. Kahle Kopfweiden, deren dicke Stämme dem Wetter trotzen, während die dünnen Zweige in den Himmel greifen. Mal erblickt man einen zugefrorenen See, mal mit Reif bedeckte Wiesen. Hier eine Kuh auf der Weide, dort Schwäne auf einer dünnen Eisschicht.

Vertieft man sich weiter in Schinks Ansichten, kann man die Kälte und den Wind fast spüren, das nasse Holz und die Ackererde riechen. 

kliekener Aue
Kliekener Aue

Schinks Stärke liegt darin, der Peripherie ihre Widerspenstigkeit zu lassen. Sie so rau und karg zu zeigen, wie sie bisweilen ist. Seine Aufnahmen sind Achtsamkeitsübungen auf dem Papier. Sie führen vor, dass Aushalten und Innehalten manchmal nah beisammen liegen. Scheinbar beiläufig führt der Fotograf Farbe in sein Werk ein. Wo die Winterlandschaft anfangs vom Schwarz-Weiß aus Baumsilhouetten und Schnee dominiert wird, weitet sich die Palette, je weiter man voranschreitet. Vor dem trüb verhangenen Himmel fängt Schink zarte Stillleben ein, lässt Schneebeeren wie kleine weiße Tupfer im braunen Gestrüpp aufleuchten, zeigt Heuballen, überzogen mit zartrosafarbenen Hüllen, gelben Raps und grüne Schutzplanen.

dargitz
Dargitz
zwischen Schwarzensee Und Schînhausen
Zwischen Schwarzensee und Schönhausen

Was Schink festhält, sind keine reinen Sehnsuchtsorte. Poesie ist dennoch in jedes seiner Bilder eingeschrieben, selbst wenn sich die Schönheit beiläufig, manchmal erst auf den zweiten Blick, zu erkennen gibt. Da liegt es nahe, dass Schinks subjektiver Kartografie ein Gedicht von Oswald Egger vorangestellt ist. Auch Egger durchstreift in seiner Lyrik die Landschaft, verwandelt das Alltägliche – das Moos und den Ahorn – in Traumwelten, für die er eine Sprache erfindet, die aus der Zeit gefallen wirkt.

Was Eggers und Schink verbindet, ist ihre feste Verhaftung in der Gegenwart – und ihr Hang zur Romantik.

Hans-Christian Schink, Hinterland, 29,5 × 31 cm, 148 Seiten

So kommt es nicht von ungefähr, dass Schinks Kompositionen an Gemälde von Landschaftsmalern wie Caspar David Friedrich erinnern. Doch wo Friedrichs Naturdarstellungen von mystischer Überhöhung durchdrungen sind, stellen sich Schinks Fotografien einem nüchtern entgegen. Schink stilisiert die Weite nicht als trostlos, die Stille nicht als erhaben. Pathos liegt ihm, trotz der Großformatigkeit seiner Werke, fern. Er zeigt schlicht, was ist. Und doch lassen sich Schinks Bilder nicht rein dokumentarisch lesen. Für ihn ist das Hinterland mehr als die Erkundung einer Gegend. Der Titel bezieht sich, so der Künstler, auch auf die imaginären Landschaften seiner Erinnerung. Auf die Landschaften, die er aus seiner Kindheit kennt.

beseritz
Beseritz

Geboren wurde Schink 1961 in Erfurt, bekannt wurde er Ende der Neunzigerjahre mit seiner Werkgruppe »Verkehrsprojekte Deutsche Einheit«, für die er den Autobahn- und Schienenausbau in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung fotografierte. Er hielt den Moment der Entstehung fest, zeigte, noch bevor der Verkehr zum Rollen kam, wie sich die Betonkolosse – die Fahrspuren, Trassen und Brückenpfeiler – ihren Weg in die Felder und Wälder bahnen. Schinks Aufnahmen bewiesen einmal mehr, was Marc Augé meinte, als er die Autobahn als klassischen Nicht-Ort bezeichnete – als Transitzone der Einsamkeit und Entwurzelung.

Schon damals ging Schink weit über die sachliche Dokumentation hinaus.

Der Riss, der sich von Menschenhand durch die Landschaft zieht, bildet bis heute das Leitmotiv seiner Arbeiten.

Egal ob in Peru, Nordkorea, Vietnam oder an der Antarktis, Schink richtet den Fokus auf die Berührungspunkte zwischen Land und Stadt. Mit jedem Auslösen der Kamera stellt er die eine Frage, die heute wieder aktueller ist denn je: Wer wird am Ende die Oberhand haben – Mensch oder Natur?

bei Karpzow
Bei Karpzow

In seinen Panoramen hat der Mensch bewusst keinen Platz. Einerseits spart ihn Schinks Fotografie seit jeher bewusst aus, andererseits hat der Mensch an diesen Orten, die Schink behutsam vermisst, auch nicht mehr viel verloren. Hier und da weisen Spuren auf seine Existenz hin: ein verlassener Bauernhof, ein dürftig geflickter Zaun, Strommasten mit gekappten Leitungen, Mauern, die ins Nichts führen und zwei verschneite Bänke vor einer Hütte. Gesessen hat hier schon lange niemand mehr. 

Hans-Christian Schink, »Hinterland«, mit einem Gedicht von Oswald Egger, 148 Seiten mit 76 Abbildungen, 2020, Hartmann Books

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